Hassan Bugnards Arbeitsbeginn als Landesdirektor Swisscontact Libanon und Projektleiter eines Projekts für Arbeitsmarktintegration hätte nicht holpriger sein können: Zuerst erklärt Libanon den Staatsbankrott, und dann wird in der Schweiz und im Libanon der Lockdown wegen COVID-19 verhängt. Die Übersiedlung in die neue Heimat Libanon erfolgte vorerst nur über digitale Kanäle. Im Interview erklärt Hassan Bugnard, wie er und sein Team es trotzdem geschafft haben, die Projektaktivitäten innert Kürze an die neue Situation anzupassen.
Hassan Bugnard, Sie standen kurz vor der Ausreise aus der Schweiz in den Libanon, als der Lockdown verhängt und die Flüge gestoppt wurden. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?
Am 15. März habe ich den Schlüssel zu unserer Wohnung abgegeben und wollte mich auf den Weg zum Flughafen machen. Da habe ich erfahren, dass mein Flug gestrichen wurde. Zwei Tage später schloss auch das Hotel, in dem ich vorübergehend untergekommen bin. Wir haben dann als Familie eine kleine möblierte Hütte in einem Bergdorf gefunden, in der wir die Zeit bis zur Abreise überbrücken konnten. Dass wir es uns gewohnt sind, als Familie unterwegs zu sein, hat uns geholfen, der Situation gelassen entgegenzutreten.
Ihre Arbeit als Projektleiter des «Youth Employment Project» und Landesleiter von Swisscontact Libanon haben sie trotz der schwierigen Situation aufgenommen. Wie konnten Sie sich remote einen Überblick über das Projekt, die Aktivitäten und die Situation vor Ort verschaffen?
Anfang März erhielt ich eine mehrtägige Einführung am Hauptsitz von Swisscontact in Zürich. Diese Einführungsphase war sehr wichtig für mich. Ich habe die Organisation und ihre Abläufe besser kennengelernt und konnte Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen in Zürich und der ganzen Welt knüpfen. Auch habe ich gespürt, dass Swisscontact dieser Einführungsphase eine grosse Bedeutung zumisst und sich viel Zeit nimmt, um neue Teammitglieder willkommen zu heissen. Ein solches Engagement finde ich nicht selbstverständlich und ich schätzte es sehr.
Das bereits bestehende Projektteam im Libanon hat mich offen empfangen, mich in die aktuelle Situation eingeführt und gleich in laufenden Entscheidungen einbezogen. Wir haben sehr schnell zu einer unkomplizierten, direkten Kommunikation gefunden, und das alles nur virtuell. Oft haben wir uns sechs Stunden täglich über Teams ausgetauscht. Gleichzeitig haben wir innert Kürze auf eine cloudbasierte Dokumentablage umgestellt, so dass ich auch aus der Ferne Zugriff auf alle wichtigen Unterlagen hatte. Ich finde, wir können stolz darauf sein, dass wir trotz der ungewöhnlichen Voraussetzungen als Team sehr schnell zusammengewachsen sind.
Seit dem 31. Mai sind Sie nun in Beirut. Wie haben Sie den Start in der neuen Heimat erlebt?
Wir haben den erstmöglichen Flug nach Beirut genommen. Zuerst einmal musste aber die ganze Familie zwei Wochen im Hotel in der Quarantäne verbringen. Mit meinem Sohn machte ich jeden Tag Rennen durch die Hotelgänge.
Der Schweizer Hassan Bugnard ist neuer Landesdirektor von Swisscontact Libanon und Projektleiter.
Was will Swisscontact mit dem Projekt erreichen?
Das «Youth Employment Project» startete im Juni 2019. Junge Frauen und Männer aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen erwerben in einem Coachingzyklus grundlegende Fähigkeiten, die ihnen dabei helfen, den Weg in den Arbeitsmarkt zu finden. Wir haben dafür 14 Coaches von 3 Partnerorganisationen ausgebildet. Der erste Coachingzyklus startete im Januar mit rund 210 Teilnehmerinnen und Teilnehmern.
Wie beeinflusst die gegenwärtige Situation im Libanon das Projekt?
Gleichzeitig mit meinem Stellenantritt erklärte der Libanon den Staatsbankrott. Dadurch ändern sich auch einige Rahmenbedingungen für unsere Zielgruppe. Wir müssen unsere Projektaktivitäten entsprechend anpassen. Unser Blick auf den Arbeitsmarkt muss systemisch sein und gleichzeitig müssen wir Möglichkeiten, die sich bieten, erfassen. Jetzt gerade führen wir eine Studie durch, die uns helfen wird, die Jugendlichen im Coachingzyklus angesichts der veränderten Rahmenbedingungen noch besser bei der Integration in den Arbeitsmarkt zu unterstützen. Denn es geht nicht nur darum, dass die Teilnehmenden einfach mal ihre Fähigkeiten entwickeln. Letztendlich müssen sie auch eine Stelle finden.
Damit nicht genug, hinderte der strenge Lockdown wegen der COVID-19-Pandemie die Menschen daran, sich physisch zu treffen, was natürlich die Aktivitäten des Projekts einschränkte. Das heisst nicht, dass wir eine Pause eingelegt haben. Im Gegenteil: Wir haben das Projekt in ruhigen, kleinen, aber raschen Schritten an die neue Situation angepasst. Möglich war dies dank des Pragmatismus des Teams und der Partnerorganisationen. So haben wir zum Beispiel kurzerhand eine digitale Plattform entwickelt, um die Ausbildung der Coaches digital weiter voranzutreiben.
Worauf freuen Sie sich nun am meisten in der neuen Heimat?
Ich kann es kaum erwarten, endlich mit meinen Kolleginnen und Kollegen den ersten Tag im Büro zu verbringen. Es wird toll sein, die Leute, die ich in den letzten Wochen so intensiv über digitale Kanäle kennengelernt habe, von Angesicht zu Angesicht zu treffen. Sicher auch speziell, weil wir alle Schutzmasken tragen werden.
Und dann: Bis jetzt kenne ich vom Libanon ja nur den Ausschnitt aus den Fenstern des Hotels. Ich freue mich, endlich rausgehen zu können, um die Stadt und – wenn weitere Lockerungsschritte erfolgt sind – das Land zu erkunden und die verschiedenen Akteure unseres Projekts zu begrüssen. Wichtig ist mir auch, dass ich bald unsere Coachings besuchen kann. Dadurch werde ich noch eine bessere Vorstellung erhalten, welche Ziele wir anpassen müssen. Ich kenne das von meiner früheren Tätigkeit im Erziehungswesen in Burkina Faso: Die Besuche von Schulklassen waren für mich immer sehr speziell, die Atmosphäre in den Klassenräumen zu spüren, die Interaktion der Schüler und Lehrpersonen zu beobachten. Und letztendlich freue ich mich auf die Ergebnisse. Es ist interessant für mich, ein neues Projekt und seine Aktivitäten kennenzulernen, aber die beste Motivation ist doch eine dauerhafte, echte Wirkung.
Hassan Bugnard leitet seit März 2020 das «Youth Employment Project» von Swisscontact im Libanon und amtet auch als Landesdirektor. Vor seiner Tätigkeit für Swisscontact engagierte sich der Schweizer in Burkina Faso dafür, berufliche Perspektiven für Strassenjugendliche zu schaffen. Zuvor war er als Lehrperson und Leiter eine Orientierungsschule im Kanton Fribourg tätig. Hassan Bugnard ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. Das «Youth Employment Project» wird von der DEZA und über Spenden finanziert.