Grüne Qualifikationen und Kompetenzen, sogenannte Green Skills, sind seit über einem Jahrzehnt in aller Munde. Sie werden regelmässig als Schlüsselkompetenzen für die persönliche Karriereentwicklung1 in den 2020er-Jahren genannt, um die Klimakrise2 zu bewältigen sowie ein inklusiveres Wirtschaftswachstum und angemessene Arbeitsbedingungen3 für alle zu schaffen. Auf der ganzen Welt scheint man sich einig zu sein, dass solche Kompetenzen notwendig sind. Denn fast wöchentlich werden sie in Positionspapieren oder an bedeutenden Konferenzen behandelt.
Auch grüne Chancen, also Green Opportunities, werden oft thematisiert. Der dringend notwendige Fokus auf die Eingrenzung der Auswirkungen des Klimawandels wird als Wegbereiter für grüne Innovationen angesehen. Dadurch ändert sich das Vorgehen von Regierungen, Unternehmen und anderen relevanten Akteuren, und sogar ganze Wirtschaftssektoren werden davon beeinflusst. Man denke nur an die Entwicklung neuer Technologien zur Energieerzeugung und zur Reduktion von Treibhausgasemissionen im Transportsektor, aber auch in der Landwirtschaft und im Finanzwesen, wo vollständig neue Märkte entstehen.4 Um diese Veränderungen umzusetzen und die damit einhergehenden Anforderungen zu erfüllen, werden Fachleute benötigt, die entsprechend geschult und weitergebildet werden müssen.
Über das Potenzial von Green Skills scheint man sich einig zu sein. Doch können diese Trends zur Ökologisierung der Wirtschaft und zur Ausbildung dafür – die oft aus der Perspektive von hoch entwickelten Volkswirtschaften formuliert werden – auch auf Länder und Regionen angewendet werden, in denen Swisscontact aktiv ist? Welche Vorteile haben Menschen mit Green Skills in den lokalen Arbeitsmärkten, die üblicherweise durch ein hohes Mass an Informalität und eine geringe Dynamik im Privatsektor gekennzeichnet sind? Diese Fragen aus Entwicklungsperspektive zu beantworten, stellt sich als schwierig heraus.
Es mangelt an Belegen dafür, was Green Skills für die Arbeitskräfte in Entwicklungs- und Schwellenländern bedeuten und ob es im komplexen und herausfordernden Umfeld des globalen Südens sinnvoll ist, ganze Schul- und Ausbildungssysteme anzupassen, um die Aneignung von Green Skills einzuführen. Leider wird die lokale Nachfrage nach Arbeitskräften mit Green Skills oft nur oberflächlich analysiert. Green Skills als Schlüssel für die Arbeitsmarktfähigkeit anzusehen, scheint zu attraktiv zu sein, um sie zu hinterfragen. In der Folge besteht das Risiko, dass Lernende für grüne Sektoren geschult werden, wo es schliesslich nur wenige Jobmöglichkeiten geben könnte.
Das hohe Mass an Informalität auf dem Arbeitsmarkt in vielen Ländern des globalen Südens macht es oft schwierig, Jobprofile, die ökologisiert werden könnten, klar zu identifizieren. Ein Mangel an konstruktiver Kommunikation zwischen Bildungsanbietern und dem Arbeitsmarkt führt zudem oft dazu, dass die Aneignung von Green Skills nur als Ergänzung des bestehenden Lehrplans angesehen wird, statt als zentrale Grundlage für innovatives unternehmerisches Handeln. Des Weiteren müssen wir berücksichtigen und einsehen, dass die Aneignung von Green Skills für benachteiligte Menschen nicht höchste Priorität hat. Für sie kann es schwierig sein, den direkten Nutzen einer solchen Ausbildung zu erkennen, obwohl sie meist überdurchschnittlich stark vom Klimawandel betroffen sind.5
Trotz dieser kritischen Einschätzung glaubt Swisscontact fest an das transformative Potenzial von Green Skills und die daraus resultierende Notwendigkeit grüner Ausbildungen. In unseren Projekten erleben wir aus erster Hand, wie der Klimawandel die Lebensgrundlage der Menschen bedroht und wie wichtig es für sie ist, die richtigen Fertigkeiten zu erlangen, um sich ihm zu widersetzen. In vielen Ländern beobachten wir, wie neue grüne Unternehmensmodelle entstehen, die oft mehr Einkommen und bessere Jobs bieten. Die Frage, die sich unserer Organisation stellt, ist demnach nicht, ob Green Skills eine Rolle spielen sollten oder nicht, sondern wie sie besser gefördert werden können.
Um diese Zielsetzung zu verfolgen, haben wir eine neue Klimastrategie entwickelt und in themenbezogene Expertise investiert. Dank dieser Strategie können wir unsere Klimaziele mit unseren anderen Schwerpunktbereichen verbinden, besonders die Entwicklung von Fertigkeiten. Den organisatorischen Rahmen nennen wir «Green Skills & Jobs».
Um den Effekt von Green Skills zu maximieren, müssen wir in eine detaillierte und vor allem den Tatsachen entsprechende Analyse der lokalen Gegebenheiten investieren. Es erfordert Voraussicht, um einzuschätzen, wann solche Fertigkeiten sinnvoll sind und wann nicht. Unsere Arbeitsprinzipien geben uns die erforderliche kritische Denkweise und die benötigten Werkzeuge an die Hand, um eine solche tiefgehende Analyse der lokalen Gegebenheiten durchzuführen.
Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass Green Skills allein nur eine geringe Wirkung haben, wenn es keine Jobs gibt, in denen sie angewendet werden können. Um dieses Problem zu lösen, setzen wir uns nicht nur für die Aneignung von Green Skills ein, sondern arbeiten auch daran, grüne Jobs zu schaffen. Dabei hilft uns unsere Erfahrung in inklusiver Wirtschaftsentwicklung. Sie ermöglicht uns, ein effektiveres Portfolio an Interventionen aufzubauen.
Zu guter Letzt muss mehr Forschung zu den Langzeitauswirkungen von Green Skills auf das Leben der Menschen betrieben werden. Es gibt nach wie vor viele offene Fragen, wenn es um die erhoffte gesteigerte Arbeitsmarktfähigkeit geht. Als thematischer Vordenker positioniert sich Swisscontact aktiv in diesem Bereich und arbeitet mit seinen Forschungspartnern daran, ebendiese Fragen zu beantworten.
Eine sinnvolle und nachhaltige Förderung von Green Skills und grünen Jobs gehört zu den strategischen Schwerpunkten von Swisscontact in Sachen Entwicklung von Fertigkeiten. Als anpassungsfähige Organisation streben wir jeden Tag danach, Konzepte besser zu verstehen und sie bestmöglich einzusetzen, um unser Ziel einer besseren Lebensqualität für alle zu erreichen.
[1] LinkedIn Economic Graph: Global Green Skills Report 2023
[4] Grösstenteils CO2-Kompensationen und Reduktion von Treibhausgasemissionen innerhalb der unternehmenseigenen Wertschöpfungskette.