Es lässt aufhorchen: Obwohl Partizipation und Handlungsmacht seit Langem im Zentrum der internationalen Zusammenarbeit stehen, zeigt ein kürzlich von der OECD veröffentlichter Bericht, dass nur 1,2 % der internationalen Entwicklungsgelder (Official Development Assistance, ODA) direkt an lokale NGOs weitergegeben werden.1 Bedeutet das, dass die Themen Partizipation und Wirksamkeit der Entwicklungshilfe bisher nicht ernst genommen wurden? Nicht zwingend. Direkte Finanzflüsse sind nur ein Aspekt, auch wenn sich die Debatte zur lokal geführten Entwicklung häufig auf sie konzentriert. Um eine lokal geführte Entwicklung zu ermöglichen, ist mehr nötig als direkte Finanzierung: Es braucht ein dynamisches Zusammenspiel von sich ergänzenden Akteuren, die für die Vermittlung, den Technologietransfer und die gemeinsame Entwicklung von Kapazitäten sorgen, um bei der Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) dauerhafte und angemessene Erfolge zu erreichen. Dies bleibt das Hauptziel der internationalen Zusammenarbeit, zu dem die lokal geführte Entwicklung beiträgt.
Im Rahmen zahlreicher internationaler Verträge und Erklärungen2 haben sich die wichtigsten Geldgeber und Organisationen verpflichtet, ihre Macht mit lokalen Akteuren zu teilen und Hilfsgelder so direkt wie möglich an diese auszurichten. Die Entwicklung und die Umsetzung von Projekten zusammen mit lokalen Akteuren ist bereits seit Jahrzehnten die gängige Praxis, dennoch wirft die Lokalisierungsdebatte einige unbequeme Fragen auf: Wer entscheidet – jenseits jeglicher Augenwischerei – wirklich über den Entwicklungsbedarf und die Prioritäten? Welche Rolle spielen Organisationen wie Swisscontact in Zukunft im dynamischen Zusammenspiel der verschiedenen Entwicklungsakteure?
Ebenso unbequem sind einige Spannungsfelder, die unweigerlich mit der lokal geführten Entwicklung zusammenhängen und die geregelt werden müssen: Wer ist lokal? Wo liegen die Grenzen eines lokalen Kontexts? Was tun, wenn die lokalen Akteure nicht dieselben Werte vertreten wie wir? Was tun, wenn diese Werte nicht mit der nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind? Und was passiert, wenn die Steuerzahler nicht mehr mitentscheiden können, wie ihr Geld im globalen Süden eingesetzt wird?
Swisscontact setzt zwar Entwicklungsprojekte um, steht dabei aber effektiv den lokalen Stakeholdern auf Anfrage mit Dienstleistungen und anderweitiger Unterstützung zur Seite. Ein Projektleiter erklärte dies kürzlich wie folgt: «Wir leisten nur dann Hilfe und unterstützen die Durchführung von Interventionen, wenn die lokalen Stakeholder aktiv danach fragen.» Gemäss unserer allgemeinen Arbeitsweise kreieren wir mittels partizipativer Prozesse gemeinsam mit lokalen und nationalen Akteuren Innovationen, investieren zusammen mit lokalen Interessenvertretern, um das Risiko zu teilen und zu steuern, und bieten den lokalen Akteuren technische Unterstützung an. Hierzu überlassen wir den lokalen Akteuren die Führung bei der strategischen Entscheidungsfindung und -steuerung und bauen auf lokalen Initiativen und Ideen auf.
Um nur einige konkrete Beispiele zu nennen: Im Rahmen des Projekts für nachhaltige Landnutzung in Indonesien half Swisscontact dabei, Multi-Stakeholder-Foren aufzubauen; eine Initiative, die von der lokalen Regierung initiiert worden war. Swisscontact gab Inputs zur Einrichtung dieser Foren und leistete Unterstützung beim Design und bei der Implementierung eines digitalen Tools, das von den Mitgliedern genutzt wird, um den Fortschritt hin zu ihren eigenen wirtschaftlichen und ökologischen Ziele zu messen. Ein weiteres Beispiel ist ein Projekt in Nepal, welches als Teil einer bilateralen Initiative zwischen der nepalesischen und Schweizer Regierung die Entwicklung des nationalen Berufsbildungsystems unterstützt. Swisscontact unterstützt die Regierung im Rahmen der Projektdurchführung dabei, die Differenzen zwischen den Vorstellungen der Regierung und des Privatsektors zu überbrücken, indem die Parteien miteinander in den Dialog gebracht werden. In einem weiteren Projekt – «Feed the Future» in Guatemala von USAID – ist Swisscontact Subunternehmerin einer lokalen Produzentenkooperative (Fedecovera), die die jährlichen Entwicklungspläne genehmigt und die Budgets verwaltet.
Diese Beispiele zeigen, dass Partnerschaften auf Augenhöhe Teil unserer täglichen Arbeit sind. Swisscontact hat sich verpflichtet, die Qualität dieser Partnerschaften zu verbessern, indem Partnerschaftsprinzipien definiert, Vertragsmodelle im Hinblick auf Gleichberechtigung überarbeitet und die Modalitäten der Kostenteilung transparenter gestaltet werden. Ausserdem werden wir unsere Praktiken so verbessern, dass die Prozesse vermehrt lokal geführt werden: Obwohl partizipative Methoden bei allen Projekten die Norm sind, müssen sie noch weiter verbessert werden. Nach Möglichkeit sollen lokale Akteure die Federführung haben, wenn es darum geht, Lösungen für Entwicklungsprobleme zu erarbeiten.
Obwohl lokal geführte Praktiken Teil unserer Arbeit sind, stellt uns die eigentliche Umsetzung immer wieder vor grosse Herausforderungen: Wir müssen die Repräsentativität lokaler Gruppen aufmerksam und kritisch hinterfragen, um sicherzustellen, dass sie inklusiv sind und dass keine weiteren Spannungen entlang ethnischer oder anderer bereits bestehender Konfliktlinien entstehen, wenn einige von ihnen die Führung übernehmen. Die lokalen Akteure sind keine kohärente Gruppe, sie sind sehr divers, und es können Interessenkonflikte auftreten. Ausserdem sind die Anforderungen bezüglich Compliance, Rechnungslegung und Berichterstattung für die durchführenden Organisationen sehr hoch, um das Betrugsrisiko zu verringern. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden sich internationale Geldgeber deshalb auf diejenigen lokalen Organisationen (z. B. zivilgesellschaftliche Organisationen) konzentrieren, die am besten in der Lage sind, diese Anforderungen zu erfüllen. Dies kann dazu führen, dass die lokalen Stimmen und Interessen nicht in ihrer Vielfalt vertreten werden. Und schliesslich kann die alleinige Konzentration auf im lokalen Kontext entwickelte Lösungen dazu führen, dass Probleme mit einem Ursprung ausserhalb dieses Kontexts (z. B. in der Exportindustrie) nicht angegangen werden und teure neue, lokale Lösungen geschaffen werden, statt bewährte Lösungen zu adaptieren.
Das Ziel von Swisscontact ist letztlich, zu einer umfassenden nachhaltigen und inklusiven Entwicklung beizutragen. Die verschiedenen Partner aus verschiedenen Sektoren (privat, öffentlich, zivilgesellschaftlich) in verschiedenen Ländern – mit verschiedenen Fragilitätsgraden, ausgestattet mit unterschiedlichen Ressourcen und betraut mit der Implementierung von Projekten unterschiedlicher Komplexität – erfordern alle einen anderen Ansatz. Dabei hat Swisscontacts Rolle jeweils unterschiedliche Facetten und ändert sich gemäss den lokalen Bedürfnissen und Prioritäten: So sind wir beispielsweise Vermittlerin, Wissensbroker, Anregerin, Mitlernende und Beraterin.
Lokal geführte Entwicklung ist eine Debatte, die in den letzten Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat. Bei Swisscontact ist dieses Thema fest in der Arbeitsweise verankert. Wir sind überzeugt, dass eine internationale Zusammenarbeit die grösste Wirkung erzielt, wenn jeder Stakeholder die Rolle einnimmt, für die er im Hinblick auf die Entwicklungsziele am besten geeignet ist. Als internationale Organisation ergänzt unsere Rolle diejenige der lokalen Akteure. Innerhalb dieser Rolle gibt es noch viel zu tun. Unser kürzlich veröffentlichtes Positionspapier gibt Einblick in unsere Überlegungen bezüglich unserem Engagement, um unsere Praktiken zu verbessern und sie stärker lokal auszurichten.
1 Vgl. OECD «Pathways Towards Effective Locally Led Development Co-operation: Learning by Example», 2024, S. 35 ff. Abbildung 3.2. Die Abbildung zeigt zudem, dass 16,9 % der Mittel direkt an die Empfängerregierung weitergeleitet wurden und 1,7 % an den Privatsektor. Weitere 3,7 % sind programmbasierte Ansätze (Programme-Based Approaches, PBA), die nicht in den Code-Listen aufgeführt sind und unter der Führung der Gastländer direkt implementiert werden.
2 Z. B. «The Grand Bargain» (2016–2021) und «Donor Statement on Supporting Locally Led Development» (2023).