Sie kamen nach Kakuma auf der Suche nach Schutz vor Krieg, Verfolgung, Ungerechtigkeit. Mittlerweile leben über 190 000 Menschen im Flüchtlingscamp im Nordosten von Kenia, viele von ihnen schon seit Jahren, viele von ihnen sind im Camp zur Welt gekommen. Dank der humanitären Hilfe ist für das Nötigste zum Überleben gesorgt, viel mehr aber nicht. Die Lebensbedingungen sind dürftig. Auch die lokale Bevölkerung ist sehr arm. Sie konkurriert mit den Flüchtlingen um lebenswichtige Ressourcen wie Holz, Wasser, Land oder um Möglichkeiten, ein eigenes Einkommen zu verdienen.
Dabei wäre Potenzial für eine wirtschaftliche Tätigkeit vorhanden. In und um Kakuma gibt es einen lebendigen informellen Markt. Kleine Läden, Internetcafés, Bäckereien, Schneiderinnen und Coiffeure bieten ihre Dienste an. Die beruflichen Fähigkeiten, die die Flüchtlinge mitbringen, sind jedoch spärlich. Das macht es schwierig, Arbeit zu finden und etwas Geld für sich und ihre Familien verdienen zu können.
Im Auftrag der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA bildet Swisscontact deshalb seit 2013 Flüchtlinge und Angehörige der lokalen Bevölkerung in Berufen aus, die auf dem Markt nachgefragt werden. Das Projekt Skills for Life richtet sich an junge Erwachsene ab 16 Jahren, insbesondere Frauen. In Lerngruppen eignen sie sich in praxisorientierten Trainings neue Fähigkeiten an. Dazu arbeitet Swisscontact mit gemeindebasierten Organisationen zusammen, was die lokale Verankerung fördert.
Das Ziel von Skills for Life ist es, die Beschäftigungsfähigkeit sowohl der Jugendlichen im Flüchtlingscamp als auch der lokalen Bevölkerung zu verbessern. Dass nicht nur die Flüchtlinge, sondern auch die Gastgemeinde in das Projekt einbezogen wird, ist von entscheidender Bedeutung. Die Flüchtlinge erhalten ein Gefühl der Zugehörigkeit, und die lokale Bevölkerung bekommt ebenso Chancen, sich wirtschaftlich und persönlich zu entwickeln, wie die Campbewohnerinnen und -bewohner.
3096 junge Erwachsene (davon 1878 Frauen) absolvierten in den letzten acht Jahren ein berufliches Training, die Hälfte von ihnen aus dem Camp, die andere Hälfte aus der lokalen Bevölkerung. Sie haben durch ihre wirtschaftliche Tätigkeit im Durchschnitt CHF 1778 pro Jahr verdient.
Von März bis Juli 2020 konnten in Kakuma keine beruflichen Trainings stattfinden. Im Flüchtlingscamp herrschte, wie in ganz Kenia, ein strenger Lockdown. Das Projetteam von Skills for Life blieb während dieser Zeit mit den Ausbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmern telefonisch in Kontakt. Diese Gespräche halfen den Jugendlichen dabei, die Präventionsmassnahmen besser zu verstehen und sich an die neue Situation anzupassen. Nach dem Lockdown mussten die Lerngruppen verkleinert werden, um die Anzahl Kontakte zu reduzieren. Um die Ausbildungskapazität trotz der kleineren Gruppengrössen aufrechtzuerhalten, baute das Projekt 2020 den Bereich des digitalen Lernens aus.
Bereits seit 2017 waren einige Lerninhalte digital zugänglich. Sie wurden nun massiv erweitert. Besonders Lese-, Schreib- und Rechenkenntnisse lassen sich gut digital üben. Auch Kurse in den Bereichen Finanzen und Unternehmertum und in der Führung von Spar- und Leihgruppen sind geplant. Das Projektteam leistet über die digitale Plattform auch Aufklärungsarbeit, zum Beispiel zum Thema Geschlechtergerechtigkeit. Über diesen digitalen Kanal kann das Projekt ausserdem das Coaching und Mentoring für Absolventinnen und Absolventen ausbauen.
Da die Internetverbindung in Kakuma und Umgebung unzuverlässig sind, sind sämtliche Trainingseinheiten sowohl online als auch offline möglich. Die Lernenden erhalten Computer und Tablets, mit denen sie auf die Plattform zugreifen können.
Skills for Life ist das erste Projekt in einem ähnlich fragilen Kontext, das digitales Lernen so konsequent fördert. Die digitale Lernplattform wird über die COVD-19-Krise hinaus eine wichtige Ergänzung des Projekts darstellen. Die Ausbildungen ermöglichen es den Menschen in den Flüchtlingscamps, ihre Lebensgrundlage zu verbessern – gerade auch bei der Bewältigung wirtschaftlicher Notlagen, wie sie die Pandemie verursacht hat. Darum will Skills for Life die Trainings noch zugänglicher und effektiver machen. Die Digitalisierung ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Auch bietet sie Flexibilität in Bezug auf Lernort und Zeit, was Teilnehmenden mit besonderen Bedürfnissen, zum Beispiel jungen Müttern, zugutekommt.
Die gebürtige Kongolesin Marie Heshima arbeitet seit 2016 für das Projekt Skills for Life:
«Es ist eine grosse Aufgabe, eine Trainerin im Projekt Skills for Life zu sein. Ich mache auf die Ausbildungsangebote aufmerksam, berate in der Berufswahl, bilde Lerngruppen, melde die Jugendlichen zu den Ausbildungen an und suche geeignete Ausbildungsorte. In meiner Funktion unterstütze ich die Ausbildungsteilnehmerinnen und -teilnehmer, indem ich ihnen Lebenskompetenzen vermittle, die ihnen helfen, mit ihren Unterschieden umzugehen und den Zusammenhalt zu fördern. Nach Ablauf der Trainingszeit bespreche ich mit allen ihre weiteren Pläne. Die meisten entwickeln ihre Lerngruppe in eine Arbeitsgruppe. Ich berate sie dabei, genauso wie diejenigen, die sich für ein eigenes Unternehmen entscheiden. Es befriedigt mich, zu sehen, wie die Projektteilnehmenden vorankommen, um das Beste für sich und ihre Familien zu erreichen. Ich freue mich, dass ich Menschen zu etwas befähigen kann. Die neuen Fähigkeiten verbessern ihre Chancen auf eine bessere Zukunft.»
Innocent Havyarimana weiss, wie hart es sein kann, seinen eigenen Weg zu finden. Dieses Wissen ist seine Motivation, das Projekt Skills for Life als Mentor zu unterstützen.
«Ich erfuhr durch Plakate, die in der Stadt Kakuma aufgehängt waren, vom Projekt. Ich hatte schon immer das Bedürfnis, der Gemeinschaft, in der ich lebe, zu helfen. Das hat sich auch nicht geändert, als ich von Burundi nach Kenia geflohen bin. Anderen Hoffnung zu geben, besonders in schwierigen Zeiten, erfüllt mich. Als Mentor berate ich Leute, die ein Training im Rahmen des Projekts abgeschlossen haben. Ich helfe ihnen, ihre Fertigkeiten aufzufrischen, gebe ihnen Ratschläge für das Marketing und das Netzwerken und berate sie beim Aufbau ihres Unternehmens. Ich bin überglücklich, wenn ich sehe, wie die Männer und Frauen, die ich begleitet habe, positive, greifbare Veränderungen in ihrem Leben erreichen. Ich erinnere mich an eine Gruppe von Flüchtlingsfrauen, die gänzlich auf Nahrungsmittelspenden angewiesen waren, um ihre Familien zu ernähren. Nach dem Training und meiner zusätzlichen Begleitung können sie nun alle ihre Kinder zur Schule schicken, bessere Kleidung, Schuhe und sogar Lebensmittel kaufen und sind nicht mehr auf Hilfsgüter angewiesen. Es ist ermutigend, zu sehen, dass viele Flüchtlinge aktiv nach Lösungen suchen, die ihre Situation verbessern, auch wenn sie in prekären Verhältnissen leben.»
Innocent Havyarimana begleitete bis Ende 2020 136 Begünstigte bei der Seifenherstellung, 22 führen ein eigenes kleines Unternehmen.